Thanks to the unknown Lady who was reading the tale at London’s Piccadilly-Line and who was so kind to reveal its writer.
Es heißt, Rai-den, der Donnergott, sei ein liebloser Geist, Furcht erregend, rachsüchtig und grausam zu den Menschen. Doch so reden nur Leute, die Angst vor Sturm und Gewitter haben. Sie schieben Rai-den und seinem Sohn Rai-Taro alles erdenklich Schlechte in die Schuhe. Doch sie liegen damit völlig falsch.
Gewitter über dem Land. Foto: C. Clark
Rai-den Sama lebte weit oben im blauen Himmel in seiner Wolkenburg. Er war ein großer und mächtiger Gott und Herrscher über die Elemente. Rai-Taro war sein einziger Sohn, ein braver Junge, den sein Vater über alles liebte.
In der kühlen Abenddämmerung spazierten Rai-den und Rai-Taro über die Befestigungsmauern der Wolkenburg. Von hier oben beobachteten sie das Treiben der Menschen in den weiten Ebenen unter ihnen. Oft mussten sie dabei lachen, oft konnten sie aber nur mit dem Kopf schütteln. Manchmal lehnte sich Taro weit über die Befestigungsmauer, um zu sehen, was die Kinder da unten so anstellten.
Sie waren arme Leute und trugen zerlumpte Kleider
Eines Nachts sagte Rai-den Sama zu Rai-Taro: „Kind! Schau heute Nacht besonders genau auf das Tun der Menschen.“ Rai-Taro antwortete, „Vater, ich werde alles genau beobachten.“
Vom nördlichen Burgwall sahen sie mächtige Herrscher und bewaffnete Soldaten sich auf eine Schlacht vorbereiten. Von Süden aus erblickten sie Priester und ihre Messdiener, wie sie ein einem heiligen Tempel ihre Religion zelebrierten. Die Luft stickig von brennendem Räucherwerk. Bildnisse aus Gold und Bronze schimmerten im Dämmerlicht. Östlich entdeckten sie eine Kemenate mit einer hübschen Prinzessin, die von einer Heerschar Jungfrauen in rosa Gewändern umgeben war, die für sie musizierten. Auch Kinder waren zu sehen, die sich mit einem Wagen voller Blumen vergnügten. „Oh, was für süße Kinder!“ sagte Rai-Taro.
Als sie vom westlichen Burgwall herab blickten, sahen sie einen armen Bauern, der auf einem Reisfeld schuftete. Er war erschöpft von der schweren Arbeit und sein Rücken krümmte sich vor Schmerz. Seine Frau, vom vielen Arbeiten ganz ausgemergelt, schuftete an seiner Seite. Sie waren arme Leute und trugen zerlumpte Kleider.
Gewitterwolke eines kräftigen Hagelgewitters am Bodensee.
Foto: Michael Graf
„Haben sie keine Kinder?“ fragte Rai-Taro. Rai-den schüttelte verneinend den Kopf.
Schließlich meinte er zu seinem Sohn, „Hast du alles gut angeguckt, Rai-Taro? Hast Du die Menschen genau bei ihrem Treiben beobachtet?“
„Vater,“ meinte Rai-Taro, „ich habe in der Tat genau hingesehen.
„Dann wähle, mein Sohn, entscheide Dich. Denn ich werde dich auf die Erde schicken, damit du dir dort ein neues Zuhause suchst.“
„Ich muss unter die Menschen?“ sagte Rai-Taro.
„Liebes Kind, ja, du musst!“
„Zu den Soldaten werde ich nicht gehen. Das Kämpfen stößt mich ab.“
„In Ordnung, Sohn. Wie ist es mit der Kemenate?“
„Nein,“ sagte Rai-Taro, „ich bin doch ein Mann. Ich mag mir auch nicht den Kopf scheren und mit Priestern zusammen leben.“
„Heißt das, du entscheidest dich für die armen Landleute? Du würdest ein beschwerliches Leben führen und dich mit kärglichen Verhältnissen zufrieden geben müssen, Rai-Taro.“
Rai-Taro entgegnete, „Sie haben keine Kinder und werden mich daher besonders lieben.“
„Gehe, gehe in Frieden,“ sprach Rai-den Sama, „du hast dich weise entschieden.“
„Wie soll ich es anstellen hinzukommen?“ fragte der Sohn seinen Vater.
„Würdevoll,“ war die Antwort, „ wie es sich für einen Prinz des Hohen Himmels geziemt.“
Der arme Bauer rackerte weiterhin mühevoll in seinem Reisfeld am Fuße des Berges Hakusan in der Provinz Ichizen. Tag für Tag, Woche für Woche schien hell die Sonne. Das Reisfeld war ausgetrocknet. Die jungen Reissprösslinge drohten zu verbrennen.
Eine lebende Feuerkugel fiel mit
mächtigem Donner auf die Erde
„O Graus!“ rief der Bauer verzweifelt aus. „Was soll ich nur machen, wenn die Ernte verloren geht? Liebe Götter, habt Gnade den armen Leuten!“
Resigniert setzt er sich auf einen Stein am Feldrand. Vor lauter Sorgen und Schwäche schlummerte er ein. Als er erwachte, zogen schwarze Wolken am Himmel. Obwohl mitten am Tage, war dunkel wie in der Nacht. Die Blätter in den Bäumen raschelten. Die Vögel hörten auf mit Singen.
„Ein Sturm, ein Sturm!“ schrie der Landmann laut hinaus. „Raiden Sama ist mit seinem schwarzen Pferd unterwegs und schlägt die große Trommel des Donners. Dank ihm, werden wir Regen in Hülle und Fülle bekommen.“
Reichlich Regen gab es in der Tat. Es regnete in Strömen mit blendenden Blitzen und röhrendem Gewitterdonner.
„O Rai-den Sama,“ sprach schließlich der Landmann, „halte deine Macht zurück, das ist nun wirklich mehr als genug.“
Daraufhin blitzte es erneut auf und eine lebende Feuerkugel fiel mit mächtigem Donner auf die Erde.
„Um Himmels Willen!“ schrie ängstlich der Landmann auf. „Kwannon1 stehe meiner sündigen Seele bei, denn jetzt hat mich der Donner-Drachen am Wickel.“ Er warf sich zu Boden und verbarg sein Antlitz.
Wie dem auch sei, der Donner-Drachen ließ ihn in Ruhe. Als ihm das klar wurde, setzte er sich wieder auf und rieb sich verdutzt die Augen, denn vor ihm lag ein Säugling auf der nassen Erde; ein hübscher kleiner Junge mit Regentropfen auf den Bäckchen und im Haar.
„O heilige Kwannon,“ rief der arme Landmann aus, „ das muss deine süße Gnade sein.“ Und er nahm den Kleinen in die Arme und brachte ihn in sein Heim. Wie er so lief, regnete es weiter, doch langsam kam die Sonne wieder hervor und alle Blumen reckten dankbar ihre Köpfe in den kühlen Himmel der Sonne entgegen.
Aufziehende Naturgewalt (Gemäldedetail). Foto: Kô-Sen
Als der Bauer die heimische Hütte erreichte, rief er laut: „Frau, schau nur! Ich habe dir etwas mit nach Hause gebracht.“ „Was mag das sein,“ kam die Antwort. „Es ist Rai-Taro, der kleine älteste Sohn des großen Donner.“
Rai-Taro wurde groß und stark. In der Gegend gab es weit und breit keinen Jungen, der an ihn heran kam. Er war eine einzige Freude für seine Zieheltern. Auch alle Nachbarn mochten ihn sehr. Mit zehn Jahren arbeitete er im Reisfeld wie ein Mann. Er war zudem ein zuverlässiger Wetterprophet.
„Mein Vater,“ sagte er immer wieder, „lass uns dies und das jetzt tun, denn das Wetter wird dafür günstig sein.“ Oder er sprach: „Vater, lass uns besser dies und jenes tun, denn heute Nacht wird es Sturm geben.“ Was immer er vorhersagte, traf dann auch ein. Auf diese Weise brachte er den armen Landleuten viel Glück und alle Arbeiten gediehen zum Besten.
An Rai-Taros achtzehnten Geburtstag wurden alle Nachbarn zu einer großen Geburtstagsfeier eingeladen. Es wurde reichlich guter Saké ausgeschenkt und alle fühlten sich wohl. Nur Rai-Taro war still und traurig in sich zurückgezogen.
Ich habe mehr gelernt als die Unsterblichen
„Was ist mit dir, Rai-Taro?“ fragten seine Zieheltern. „Du solltest der Glücklichste von allen sein. Warum so still und kummervoll?“
„Ich bin so traurig, weil ich euch werde verlassen müssen,“ gab Rai-Taro zur Antwort.
„Nicht doch,“ rief seine Ziehmutter aus. „Niemals wirst du uns verlassen. Du bist Rai-Taro, mein Sohn. Warum solltest du gehen müssen?“
„Mutter, weil es sein muss,“ sagte Rai-Taro unter Tränen.
„Du bist unser ein und alles. Wir haben so viel durch dich erhalten. Was habe ich dir dagegen gegeben? Was habe ich dir geben können, mein geliebter Sohn, Rai-Taro?“
Rai-Taro antwortete: „Drei Dinge hast du mich gelehrt – zu arbeiten, zu leiden und zu lieben. Ich habe mehr gelernt als die Unsterblichen.“
Dann brach er auf. In Gestalt einer weißen Wolke stieg er zur blauen Höhe des Himmels hinauf, bis er die väterliche Burg erreichte. Rai-den empfing ihn. Beide gingen zum westlichen Wall der Wolkenburg und schauten auf die Erde hinunter. Die Ziehmutter stand dort, bitterlich weinend. Ihr Ehemann nahm tröstend ihre Hand. „Meine Liebe,“ sprach er zu ihr, „es wird nicht für ewig sein. Schnell werden schnell alt…“
Aus: Green Willow and Other Japanese Fairy Tales, by Grace James, London, 1923. Übertragung aus dem Englischen: Kô-Sen, Redaktion TrinosophieBlog, 2009
- Bodhisattva des Mitgefühls, in einigen Ländern Asiens als weibliche Schutzgottheit verehrt. ↩
Zuletzt aktualisiert: 18.11.2009 von Heinz Knotek