Seit H. P. Blavatskys Zeiten, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, versuchen bis heute viele Menschen, das Phänomen der theosophischen Mahatmas und Meister zu verstehen. IHR Wesen und Wirken zu ergründen erfordert indes mehr als sentimentale Unterwürfigkeit, erhabene Gefühle oder philosophisches Denken.
Auf die Persönlichkeit eines Mahatmas oder Meisters zu konzentrieren – wie lautes Rufen im Wald nach einem Reh. Grafik: Ko-Sen
Wer sind die theosophischen Mahatmas? Sind es entkörperte „Lichtwesen“ oder Spukgestalten? Sind sie übernatürliche Wesenheiten, reine Legende oder ausgedachte Fantasieprodukte? Stimmt es, dass einige von ihnen Tausende von Jahre alt sind?
Die Gründer der theosophischen Bewegung wurden mit solchen und ähnlichen Fragen immer wieder bestürmt. Der Sucher des 21. Jahrhunderts hat aber niemanden, den er mit seinen Fragen bestürmen kann. Es gibt im westlichen Kulturkreis keinen einzigen lebenden Sterblichen, der – wenn er einem Mahatma persönlich und als lebendes Wesen begegnet wäre – davon öffentlich Zeugnis ablegen würde.
Das „Mahatma-Projekt“
Wie man aus den Mahatma-Briefen an A. P. Sinnett und A. O. Hume im Zeitraum von 1880 bis 1885 entnehmen kann, war das „Mahatma-Projekt“ nicht für den spirituellen Fortschritt oder das persönliche Wohlergehen Einzelner gedacht. Es ging um ein globales Anliegen. Die Kluft zwischen materialistischer Wissenschaft und dogmatischer Religion sollte durch die Theosophischen Gesellschaft (TG) langfristig überwunden werden. Aus zahllosen Andeutungen der Mahatmas ist zu entnehmen, dass sie wenig Hoffnung auf Erfolg sahen. Gewiss war nur, dass ihr knapp 20-jähriges aktives Wirken dem Denken der Menschheit einen unumkehrbaren zeitlosen Impuls vermitteln wird. Das individuelle und gesellschaftliche Karma des Einzelnen würde dann zukünftig unfehlbar regeln, wie dieser auf den Impuls reagiert.
Nachdem die Mahatmas sich zurückgezogen hatten („Wie Tausende Jahre zuvor…“), versuchten viele Enttäuschte gewaltsam eine Verbindung zu ihren Idolen herzustellen. Man charterte medial veranlagte Personen oder probierte selbst, mit astralen Techniken eine Verbindung zu bekommen. Prompt meldeten sich zahlreiche astrale Geister. Glücklich, endlich durch die Unwissenheit und Gier der Menschen mit belebender Energie (Prana, Qi) ausgestattet zu werden, nahmen sie willig die Namen – gelegentlich sogar die diffuse Gestalt – an, die man von ihnen erwartete. Und so ergoss sich ein „Meister M.“ in das russische Medium Helena Roerich. Das amerikanische Medium Alice Ann Bailey war die „Botschafterin“ eines Geistes, der sich „Djwal Khul“ nannte. Die mediale Amerikanerin Francia A. La Due diente einem Geist „Meister Hilarion.“
Heraus kamen meterlange Buchreihen voll mit erhaben klingenden Worthülsen. Das Format und den Gehalt einer GEHEIMLEHRE oder der MAHATMA-BRIEFE wird man darin vergebens suchen. Seit der Jahrtausendwende kommen noch Musikstücke dazu. Noten, versehen mit dem Namen Graf von Saint Germain, haben vor allem unter den Anhängern des ehemaligen Mediums Rudolf Steiner einen Hype ausgelöst. Die „netten“ Barock-Stücke und Arien mit banalsten Versen werden von unvoreingenommenen Musikkennern als einfacher Barock-Mainstream identifiziert. Aus dem aufgedruckten Namen eine authentische Herkunft abzuleiten ist rein spekulativ und entbehrt jeder objektiven Grundlage.
Gleiches gilt übrigens für die TRINOSOPHIE, die in diesem Portal publiziert wird. Seriöser Weise kann man auch hier lediglich von einer zugeschriebenen Autorenschaft sprechen. Ob geträllerte Liebesarien und übersetzte Einweihungsgeschichte tatsächlich den inneren Wert haben, den der vermeintliche Autorenname suggeriert, muss jeder für sich selbst ergründen. Der Name allein ist ohne Wert und gewährt keine Garantie auf Authentizität.
Mahatmas oder Meister – lebende Wesen wie du und ich
Nach Blavatsky (H.P.B.) sind Mahatmas oder Meister zunächst einmal lebende Wesen wie du und ich. Der Unterschied zu uns besteht darin, dass SIE in zurückliegenden Epochen in ihrer seelischen Evolution einen hohen Grad an Perfektion erlangt haben. Sie sind Herr über Materie, Gedanken, Raum und Zeit und können – so heißt es – bei Bedarf bis zu 400 Jahre einen Körper benutzen. Doch solche Fähigkeiten sind auch in jedem von UNS latent vorhanden. Wir haben diese Samen in uns lediglich – noch – nicht kultiviert. Durch Training, Erfahrung und das Meistern von Rückschlägen kann JEDER Mensch früher oder später diesen gottgleichen Zustand erlangen.
Völlig irreführend ist die Ansicht, man müsse dazu unter der mehr oder weniger direkten Anleitung eines der Meister stehen. Wer so denkt, und im Außen nach ihnen ruft, benimmt sich wie ein lauter Waldspaziergänger, der aus vollem Hals Rehe herbeizurufen versucht. Das Gegenteil wird passieren. Die Rehe werden sich in die schützenden Tiefen des Waldes zurückziehen.
Bereits H.P.B. warnte die Mitglieder der damaligen TG davor, sich mit rein weltlichen und persönlichen Anliegen oder Gedanken voll intensiven Begehrens – zum Beispiel nach persönlicher Belehrung oder direktem Kontakt – auf die Persönlichkeiten der Meister zu konzentrieren.
They are disturbed by it, and the desire would take a material form and haunt THEM. THEY are then forced to create some impassable barrier, an Akasic wall between that desire, thought or prayer to isolate themselves. In doing so, THEY cut themselves off from all those who consciously or unconsciously come within the circle of that thought or desire.1
Regelmäßige Invokationen oder aufdringliches Meditieren zu einem Mahatma oder Meister bewirken daher – genau so wie die verzückte Selbstsuggestion, beim Hören einfacher Barocklieder dem legendären Grafen von Saint Germain nahe zu sein – schlicht und einfach das Gegenteil von Kontakt, Nähe und Kommunikation. Die Aufmerksamkeit der Mahatmas lässt sich weder über die eigene Persönlichkeit, noch über ihre angenommene persönliche Form erregen. Wer es dennoch versucht, zieht im schlimmsten Fall eine negative Überschattung durch astrale Wesenheiten auf sich herab2. Einem Meister wird er auf diese Weise naturgesetzlich NICHT begegnen. Nach den überlieferten Worten eines Mahatmas ist es nicht der persönliche WUNSCH, der jemanden in ihre Nähe führt, sondern sein unpersönlicher VERDIENST.
(wird fortgesetzt)
- Quelle: H. P. BLAVATSKY ON PRECIPITATION AND OTHER MATTERS (Path, March, 1893) ↩
- Wobei eine negative Überschattung zunächst selten negativ erlebt wird. Nicht materiellen Grenzen unterworfen, können die angezogenen astralen Wesenheiten mühlos so in Erscheinung treten, dass der Überschattete sie täuschenderweise als positiv, ja erhaben und spirituell erlebt. ↩
Zuletzt aktualisiert: 24.02.2013 von Heinz Knotek