Autorisierte Übertragung aus dem Englischen
Sri Madhava Ashish
(Foto: NEW PARADIGM BOOKS)
Unsere Reise führt in einen unbekannten und unberührten Dschungel. Sind wir ehrlich zu uns selbst, müssen wir zugeben nicht wirklich zu wissen, was wir suchen. Wir sind nicht einmal sicher, ob es überhaupt etwas zu finden gibt. Wüssten wir etwas darüber mit Gewissheit, gäbe es keine Suche. Dann müssten wir uns lediglich daran erinnern.
Alles was wir über Gott, Geist, Atman, Leere gehört haben, stammt bestenfalls von Erfahrungen anderer ab. Wir selbst können an diesen Erfahrungen nicht teilhaben. Das Wissen anderer ist nicht unser Wissen. Also suchen wir weiter, gehören weiter nicht zu denen, die bereits gefunden haben. Die Erfahrungen, die andere behaupten gemacht zu haben, sind für unser „normales“ Wachbewusstsein dermaßen fremdartig, dass wir außerstande sind, sie nachzuvollziehen. Selbst wenn wir versuchen, es mit vertrauten Geschehnissen zu vergleichen. Wir können noch nicht einmal sicher sein, den Sinn der Worte richtig zu verstehen, die jene mit Erfahrung gebrauchen.
Alle Pfade führen zum Ziel – nur die halbe Wahrheit
Wir hören von einem Pfad oder gar von vielen Pfaden. Alle führen angeblich zum selben Ziel. Leider haben diejenigen, die im Dschungel ihres Mind (*) einen Weg gebahnt haben, nicht auch in unserem Mind eine Spur hinterlassen. Es ist also nicht möglich, den Fußstapfen anderer zu folgen. Niemand außer wir selbst haben und werden jemals unseren persönlichen Dschungel betreten.
Nicht alle Wege führen direkt
zum Ziel (Bild: Trinosophie-Blog)
Die anderen sprechen davon, dass es jenseits des Dschungels ein Geheimnis geben würde. Aber die Schleier des Geheimnisses, heben sich nicht automatisch auch für uns, wenn sie sich für den Blick eines anderen Sucher lüften.
Das Geheimnis lüftet sich am äußersten Rand des Dschungels, heißt es. Gelockt werden wir mit Verheißungen von Glück, Wissen, Macht und Erfüllung. Eine diffuse Widerspiegelung des Geheimnisses findet sich im Mysterium von Geburt und Tod, im Glück der Liebe, in irdischer Macht, im Befriedigen unserer Bedürfnisse und in den Geheimnissen des materiellen Universums. Doch die Unschärfe der Widerspiegelung lässt Zweifel am Wahrgenommenen aufkommen.
Angesichts dieser Ungewissheiten stellt sich die Frage: Was treibt uns dennoch zum Weiterzusuchen? Es sind nicht nur die Stimmen derjenigen, die versichern, das Ziel sei etwas Realistisches und Konkretes. Denn die Zahl derer, die das rundweg verneinen ist eher größer. Ist es vielleicht die Neigung des menschlichen Denkens, sich in abstrakte Ideale zu flüchten, um den Realitäten des Lebens zu entfliehen? Religion mag unter bestimmten Umständen Opium für das Volk sein, eine echte Suche nach dem Grund des Daseins ist jedoch völlig ungeeignet als Flucht vor der Realität.
WAS suchen wir eigentlich?
Da ist noch etwas in uns, das antreibt Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Etwas in unserem Inneren wird von den Antworten derjenigen angesprochen, die bereits gefunden haben. Nicht minder wird dieses Etwas von den Zusicherungen berührt, dass eine ultimative Wirklichkeit erlebbar existiert. Es ist, als ob dieses „Etwas“ bereits wüsste, wonach wir suchen. Die Reaktion ist vergleichbar mit dem einsetzenden Vibrieren der Seiten einer Geige, wenn gleichzeitig entsprechende Töne von einem anderen Instrument ausgehen.
Was suchen wir eigentlich?
(Bild: Trinosophie-Blog)
Die subtile Resonanz dieses ETWAS in uns führt in die Tiefen des eigenen Seins, ist aber zugleich so wenig fassbar, wie der Heimattrieb unseres animalischen Wesens. Oft stillen wir das drängende Verlangen stellvertretend mit einem scheinbar harmonisierend wirkenden äußeren Ersatz. Wir treten dann einer Kirche oder religiösen Gruppe bei, praktizieren Yoga-Übungen, kommunizieren mit den Toten, werden Anhänger eines ansprechenden Gurus, lesen Bücher oder versuchen wenigstens ein „guter Mensch“ zu sein. Geschieht das zusammen mit vielen anderen, werden wir im Namen unserer Sekte zu missionarischen Eiferern ihrer Lehren. Das passiert aber nur deshalb, weil die innere Resonanz in Relation zu plagenden Zweifeln verschwindend gering ist und wir den Verlust des erkannten Zipfels an Harmonie fürchten.
Wir sind also scheinbar gefangen zwischen dem mit der äußeren Welt befassten rationalen Denken des Mind und einem innerlichen Sehnen, das sich in seiner Verborgenheit kaum als Teil unseres eigenen Wesens erkennen lässt. Da wir normalerweise nur das wahrnehmen, was unser rationales Denken zu erfassen imstande ist, können wir dieses innere Sehnen nur so wahrnehmen, wie es vom Denken interpretiert wird. Die Interpretationen können dabei die ganze Bandbreite möglicher Standpunkte annehmen.
Eigene Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen
Mit etwas Glück gelingt es innerhalb einer Lebensspanne die äußeren – von den trüben Wassern des Lebens verzerrten – Reflexionen des inneren Sehnens hinter sich zu lassen und eine präzisere Sichtweise von dem zu finden, wovon der Ruf an uns ausgeht. Doch sind wir dann noch immer geneigt, die vorgefertigten Formulierungen religiöser und philosophischer Systeme zu übernehmen. Der innere Widerhall auf Worte, Formulierungen und Konzepte ist jetzt klarer wahrnehmbar. Gefühle werden von Namen und Vorstellungen erzeugt, die scheinbar mit dem Wesen und der Macht dessen durchdrängt sind, was sie beschreiben. Dem Ahnungslosen droht hier jedoch ein Fallstrick: Er hält Konzepte für die Wirklichkeit und bildet sich ein, das angenehme Gefühl der Resonanz sei die gesuchte Erfahrung.
Es kommt die Zeit, die Grundlagen unserer Suche zu hinterfragen. Diese Grundlagen wurden von vertrauten religiösen oder philosophischen Systemen übernommen, die in uns zustimmende Empfindungen wachrufen. Die Werte dieser Systeme sind über jeden Zweifel erhaben. Der ihnen inne wohnende Gehalt hat sich im Laufe der Zeit bewährt und bestätigt. Zahllose Generationen von Suchern haben darin ihren Glauben an eine ultimative Wahrheit zum Ausdruck gebracht. Auch die Weisen bedienten sich ihrer. Eigentlich bedarf es daher keiner anderen Werte. Angemessen oder weniger angemessen formuliert – in jedem Fall bringen sie unser Streben zum Ausdruck, wie wir demütig versuchen, dem Mysterium nahe zu kommen, das andere – größer als wir – entschleiert haben.
Gut oder schlecht? Richtig oder
falsch? Eigene Erfahrung kann oft
durch nichts ersetzt werden.
(Bild: Trinosophie-Blog)
Dennoch bleiben quälende Zweifel. Trotz allen Flüsterns der Seele, trotz Glauben an was für eine Lehre auch immer – wir wissen, dass es bei unserer Suche keinen Ersatz für persönliche Erfahrung geben kann. Es geht dabei nicht um das Finden eines passenden philosophischen Systems, mit dem sich das Leben aus einer anderen – besser erträglichen – Perspektive betrachten ließe. Wir halten auch nicht Ausschau nach jemandem, der uns die Geheimnisse des Daseins erzählt – als ob solche Geheimnisse erzählt werden könnten. Wir suchen eine Antwort, die nur wir kennen können. Gerade so wie wir selbst eine Mahlzeit einnehmen müssen, um sie schmecken zu können. Niemand sonst.
Wir wissen – oder wir sollten wissen – dass die Erfahrung, wenn sie denn kommt, wahrscheinlich gänzlich anders ausfallen wird, als wie wir es uns jemals vorgestellt haben. Wir sollten daher um angemessene Worte ringen, wenn wir darüber sprechen. Nicht der Worte wegen, sondern damit Andere uns noch verstehen können.
Wenn wir Erwägungen anstellen, in welchem Zustand wir uns befinden mögen, wenn einst das Ziel erreicht ist, müssen wir uns in acht nehmen, nicht so zu tun, als wüssten wir bereits was wir suchen. Jemand kann Empfindungen einer inneren Lenkung oder psychische Erfahrungen im Sinne einer Bewusstseinserweiterung haben. Das erlaubt aber noch nicht den Schluss, dass es etwas „Jenseitiges“ geben muss. Aus eigener Anschauung wissen können wir das nur, wenn wir ES wirklich erlebt haben. Aber was ist dieses ES? Man könnte sagen, wir suchen Gewissheit über unseren Platz im großen Ganzen. Aufrichtiger wäre vielleicht zuzugeben, dass wir herausfinden wollen, ob es überhaupt so eine Ordnung gibt, in der es möglicherweise auch für uns einen bestimmten Platz gibt. Ganz nach dem Stoßgebet des Philosophen, „O Gott – wenn es einen Gott gibt -, rette meine Seele – wenn ich eine Seele habe.“
Ungewissheiten geben die Richtung an
An diesem Punkt angekommen, ist es Zeit, sich mit den eigenen Ungewissheiten zu arrangieren. Wir müssen lernen, statt sie mit Glaubensbekenntnisse zu unterdrücken, mit ihnen zu leben. Ungewissheit ist dann nicht länger ein Hindernis. Sie wird vielmehr zum Ansporn, in unseren Anstrengungen verstärkt fortzufahren. Denn Ersatz für eigenes Erleben ist nicht länger hinnehmbar.
Vielleicht wird dem Sucher erst jetzt bewusst, dass alles Gerde von vielen zum Ziel führenden Pfaden nur die halbe Wahrheit ist. Denn sobald man sich von Lehrmeinungen, Diskussionen und dem gehorsamen Befolgen vorgegebener Übungen abwendet, sich stattdessen dem pfadlosen Unbekannten des eigenen Wesens zuwendet, hören alle Pfade abrupt auf. Zu sagen, man würde den Fußstapfen seiner Vorgänger folgen ist nur eine Metapher. Es gibt lediglich deren Zusicherung, für sich einen Weg hindurch gefunden zu haben. Gelegentlich mag der Sucher Ähnlichkeiten zwischen seinen Erlebnissen und den Erfahrungen Anderer entdecken. Das kann ermutigend wirken, als ob man in der Wildnis auf die Wegmarke eines anderen Suchers stoßen würde. Doch die nächste Markierung die er entdeckt, kann von einem ganz anderen Pionier, der auf einer gänzlich anderen Route unterwegs war, stammen. Keiner dieser Wegmarken muss daher bedeuten, dass man sich dem Ziel nähern würde. Sie zeigen lediglich an, dass Andere an derselben Stelle vorbeigekommen sind. Es ist zwar zu erwarten, dass auch diese Sucher einem Ziel zustrebten. Aber auch sie folgten keinem festen Pfad. Und die von ihnen gewählte Route muss keineswegs die kürzeste gewesen sein. Denn jeder Sucher nimmt DIE Route, die sein individuelles Wesen ihm weist (…)
(Zwischenüberschriften von Redaktion, abschließender zeiter Teil folgt.)
(*) Für das englische Wort mind gibt es keine eindeutige deutsche Entsprechung. Der Wortsinn entspricht dem manas im Sanskrit, und bedeutet „Denkprinzip.“ Übliche Übersetzungen wie Geist, Verstand oder Gemüt gehen am Wortsinn vorbei. Sie besitzen zudem andere englische Vorgaben (Geist = spirit, Verstand = reason; Gemüt = temperament). Es wird daher der englische Begriff belassen wie er ist.
Cover des zitierten Werkes
(Foto: NEW PARADIGM BOOKS)
Sri Madhava Ashish (1920 – 1997): als Alexander Phipps 1920 in Edinburgh (Schottland) geboren; Studium zum Luftfahrt-Ingenieur am Chelsea’s College of Aeronautical Engineering; im Zweiten Weltkrieg als Servicetechniker für Flugzeugtriebwerke der britischen Armee in Indien eingesetzt; während eines Besuches in Almora, 1946, erste Begegnung mit seinem späteren Guru, Sri Krishna Prem, der selbst britischer Herkunft war und im Ersten Weltkrieg als Kampfflieger diente; wurde unmittelbar danach Schüler von Prem; kehrte nicht nach Europa zurück sondern trat in den der Hindu-Tradition geweihten Ashram von Sri Krishna Prem in Mirtola ein; nach Prems Tod, 1965, Übernahme der Leitung des Ashrams; Ashish war der Theosophie von H. P. Blavatsky (H.P.B.) zugeneigt; bis zu seinem Tod, 1997, umfassende publizistische Tätigkeit zu spirituellen Themen und der Agrarreform in Nordindien.
Herausragend: MAN, THE MEASURE OF ALL THINGS (gemeinsam mit Sri Krishna Prem) und MAN, SON OF MAN – die beiden Werke sind eine inspirierte Anwendung der Stanzas of Dzyan – und damit der Geheimlehre von H.P.B. – auf die gesellschaftliche Entwicklung im 20. Jahrhundert. Der zitierte Briefwechsel zwischen Ashish und Seymour B. Ginsburg fügt sich hier harmonisch ein.
Copyrights:
Originaltitel: The Value of Uncertainty
Translated with permission from In Search of the Unitive Vision: Letters of Sri Madhava Ashish to an American Businessman, 1978-1997, compiled with a commentary by Seymour B. Ginsburg, NEW PARADIGM BOOKS, < www.newpara.com >, 2001. Originally reprinted with the permission of The Theosophical Society in America.
Zuletzt aktualisiert: 09.05.2009 von Heinz Knotek
Das hieße, sich von den Erwartungen des Egos zu distanzieren bzw. sich nicht mehr von ihm vereinnahmen zu lassen, dass es der kontrollierende Meister des Lebens bleibt. Ist leicht dahin geschrieben, aber „steter Tropfen höhlt den Stein.“
Eventuell nicht ganz… Sich von etwas distanzieren ist eine kraftvolle bewusste Handlung, die gerade dadurch dieses “Etwas” stärkt und materialisiert. Nur von dem was real existiert kann man sich distanzieren. Nur was groß und mächtig ist kann uns gefährlich werden. Man kann dem Ego also keinen größeren Gefallen tun, als sich von ihm mit Vehemenz zu distanzieren. Je vehementer, desto besser. Eine Falle, in die nicht wenige Sucher auf dem Pfad mit allen möglichen Techniken und Übungen zur Überwindung des Egos fallen.
Der erste Schritt sollte daher wohl sein, sich in voller Tragweite und in aller Konsequenz des illusorischen Wesens des Egos bewusst zu werden. Immer wieder vor allem dann, wenn das Ego dabei ist das Ruder des Lebensschiffes an sich zu reißen. Wenn das einigermaßen gelingt, ist ein Distanzieren nicht mehr nötig. Von etwas Illusorischem muss man sich nicht distanzieren. Man schaut einfach nicht hin… (im übertragenen und wörtlichen Sinne). Allerdings: Auch das ist leicht dahin geschrieben und funktioniert nur nach dem Prizip “steter Tropfen höhlt den Stein”.