(Bild: Trinosophie-Blog)
Die Mai-Ausgabe des monatlichen in Mumbai, Indien, erscheinenden Magazins THE THEOSOPHICAL MOVEMENT behandelt in der Rubrik QUESTIONS AND ANSWERS unter anderem die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Weisheit und Glauben (faith) besteht. Dabei werden blinder, verstandesmäßiger und intuitiver Glauben näher erörtert.
Nachfolgend auszugsweise eine deutsche Übertragung.
Blinder Glauben
Glauben (faith) und Wissen (knowledge) sind eng miteinander verbunden. Genau so wie Glauben und Weisheit (wisdom). Weisheit ist Para Vidya oder ABSOLUTE WAHRHEIT. Sie kann nicht in Büchern gefunden werden … Kein Mensch kann vollkommene Weisheit in einer Lebensspanne erlangen. Weisheit ist etwas, das wir potentiell in uns haben. Aber ihre Verwirklichung verlangt viele erneute Lebenszeiten. Warum dann außerdem noch Wissenserwerb (apara vidya)?
Die Antwort lautet: Um Potentiale zum Entfalten zu bringen, bedarf es der Lebenserfahrungen. Um aber aus den Erfahrungen etwas lernen zu können, muss das Mind Breite und Tiefe haben. Was sich wiederum durch ernsthaftes Streben nach Wissen bildet.
Der Mensch wird das, was er als Ideal ansieht und worauf er seinen Glauben richtet. Worauf immer Glauben gerichtet ist, es wird Resultate hervorbringen. Es gibt blinden, verstandesmäßigen und intuitiven Glauben. Blinder Glauben ist, wenn sich eine Person etwa von einem Priester erklären lässt, dass zwei plus zwei fünf ist. Blinder Glauben dieser Art macht uns zu leichtgläubigen Menschen. Wir sind dann bereit, alles zu glauben, selbst wenn es dem gesunden Menschenverstand und der Logik widerspricht. Hier haben Dogmen und Aberglauben ihren Ursprung.
Meistens richten wir unseren Glauben auf Äußerlichkeiten: Götter, Menschen, Religionen, Gedankensysteme. Auf diese Weise begrenzen wir die Macht des GEISTES (Spirit). Es wird dann unmöglich, unsere Ideale zu erweitern. Glauben an einen äußeren Gott, ein äußeres GESETZ (Law), ein äußeres Sühneopfer (outside atonement) für Sünden – all das ist äußerlicher Glaube. Seinem Wesen nach ist er tamas oder Unwissenheit.
Verstandesmäßiger Glauben
Verstandesmäßiger Glauben wird durch den Verstand unterstützt und überprüft … H. P. Blavatsky weist in ihrem Vorwort zu ISIS ENTSCHLEIERT darauf hin, dass durch die Verbindung von Wissenschaft und Religion die Existenz GOTTES und die Unsterblichkeit des menschlichen Geistes nachgewiesen werden könnte (*) … Sie schreibt dazu:
„Erzähle jemandem, der noch nie Wasser gesehen hat, dass es einen ganzen Ozean voll Wasser gibt. Er kann das nur glauben oder rundweg ablehnen. Lass ihm aber auch nur einen Tropfen Wasser auf die Hand fallen. Dann hat er eine konkrete Tatsache vor sich, von der aus er auf alles Weitere schließen kann. Schritt für Schritt ist er jetzt in der Lage zu begreifen, dass ein grenzenloser und undurchdringlicher Ozean existiert. Blinder Glauben ist jetzt nicht mehr nötig. Er wurde durch WISSEN ersetzt.“
In dem Sinne kann auch die Existenz GOTTES nachgewiesen werden, indem man die wunderbaren seelischen Kräfte des Menschen als Beleg heranzieht. Der Geist des Menschen beweist die Existenz von GOTTES Geist. Was immer uns begegnet, wir müssen ihm auf den Grund gehen. Und dabei niemals eine Schlussfolgerung annehmen, nur weil sie eine Person geäußert hat, der wir vertrauen. Nur in unsere Intuition dürfen wir Vertrauen setzen (W. Q. Judge) …
Haben wir uns entschieden, einer bestimmten Richtung zu folgen, sollte es in unserem Mind dazu weder Widersprüche noch Konflikte geben. Ist etwas einmal geklärt, muss es für uns wie ein pythagoräisches Theorem sein. So, als ob es von einem gelehrten Mathematiker überprüft und bestätigt worden wäre. Bevor DER ein Theorem annimmt, hat er es gründlich getestet. Und muss das Testen nicht jedes Mal wiederholen, wenn er mit der Sache erneut zu tun hat.
Ähnlich verhält es sich, wenn wir einmal bestimmte moralische Prinzipien oder ein philosophisches System akzeptiert haben. DANN müssen wir unerschütterliches Vertrauen (faith) entwickeln und den Mut haben, es auch anzuwenden. Selbst dann, wenn es von der Familie, der Gesellschaft, der Religion usw. Widerstand oder Missfallen gibt …
Intuitiver Glauben
Die letzte Autorität ist der Mensch selbst. Intuitiver Glauben ist die höchste Glaubensform. Sie hilft zu unterscheiden zwischen wahren und falschen Denksystemen. Um intuitives Wissen oder Weisheit erlangen zu können, müssen wir Vertrauen haben und „glauben,“ dass es ein solches Wissen überhaupt gibt. Glauben wird definiert als Bündnis oder Vereinbarung zwischen der niederen und höheren Natur. Wir erlangen Weisheit, wenn wir auf die höhere Natur hören und entsprechend handeln. Wer dem Pfad wahren Glaubens folgt, fühlt sich nicht von seinen Zeitgenossen herabgezogen. Er sieht die vielen Schwierigkeiten und Begierden, mit denen sie zu kämpfen haben, sie auf ihrem Pfad voran zu bringen. Selbsterkenntnis ist das Kind liebenden Tuns…
(Mit freundlicher Genehmigung von THE THEOSOPHICAL MOVEMENT)
(*) Nicht zu verwechseln mit dem gegenwärtigen Streben klerikaler Kreise, die Wissenschaft an religiöse Dogmen anzupassen. Gemeint ist hier genau das Gegenteil (Redaktion).
Zuletzt aktualisiert: 06.10.2007 von Heinz Knotek